Carl Ludwig Funck (1852-1918)
Lebenserinnerungen
Von all den vielen schönen Geschenken, die unsere sonst sparsamen Eltern uns an Weihnachten zuteil werden ließen, ist mir ganz besonders das Puppentheater, welches ja heute noch fast unversehrt in meinem Besitz ist, als das Schönste in Erinnerung geblieben. Wochenlang vor Weihnachten entfaltete mein Vater, wenn er noch so müde abends aus dem Geschäft nach Hause kam, in der guten Stube eine geheimnisvolle Tätigkeit, unterstützt von einem gewissen Schnepf. Dieser Schnepf, ein etwas mißratener Theaterarbeiter, der zweifellos bei richtiger Behandlung ein außerordentlich brauchbarer und im bescheidenen Rahmen seiner Fähigkeiten fast genialer Mensch war, war meinem Vater bei dem Bau und der Einrichtung des Theaters behilflich. Aus einem verhältnismäßig einfachen, fertig gekauften Theater entstand allmählig ein geradezu wunderbares Puppentheater, wie ich es niemals mehr vorher und nachher wieder gesehen habe. Die meisten Dekorationen (das Theater enthält deren vielleicht zehn bis zwölf) waren von A bis Z selbst angefertigt und von Schnepf gemalt. Dazu stellte er die wunderbarsten maschinellen Dinge her, zum Beispiel einen sich öffnende Höhle, in welcher in der Freischütz=Aufführung, eines unserer beliebtesten Stücke, Samiel erscheinen konnte. Des weiteren, ebenfalls für die Wolfsschlucht bestimmt, ein Wasserfall, der in Bewegung gesetzt werden konnte, eine Schlange, ein Wildschwein, verschiedene Vögel, die alle über die Bühne liefen oder flogen, belebten die Wolfsschluchtszene in einer angenehmen und gruseligen Weise. Der Höhepunkt dieses Freischütz=Aktes aber war das Erscheinen des wilden Heeres, welches in der Luft vorüberraste - es waren lichtdurchlässige Figuren in einer Trommel, die hinter einem transparenten Hintergrund gedreht wurde - und dessen Erscheinung unter Donner, Blitz und Regen, alles aus selbstverfertigten, kleineren Maschinerien stammend, vor sich ging. Für den letzten Akt war ein Baum unser Hauptstück, auf welchem die berühmte Taube, nach der Max schießt, sich elegant schwänzelnd hin und her bewegte. An kleinen Requisiten imponierte namentlich das Feuer, welches Kaspar zum Gießen der Kugeln in der Wolfsschlucht entzündete. Schnepf hatte die Gabe, alle diese Dinge mit den denkbar einfachsten Mitteln herzustellen. Einige Brettchen von Zigarrenkisten, etwas „Pappdeckel,“ einige Stückchen Zinkblech genügten ihm vollkommen, die wunderbarsten Sachen anzufertigen. Eine bedenkliche Schwäche aber hatte dieses Genie und das war der Äpfelwein. Meinem Vater, der nicht immer stundenlang des Abends bei dieser Arbeit sein konnte, passierte es zwei= oder dreimal, daß er zurückkam und Schnepf nicht mehr antraf, weil dieser vorgezogen hatte, zum Äpfelwein zu gehen. Resolut und in den Anschauungen eines aufgeklärten Despotismus, in denen mein Vater noch vielfach lebte, half er sich damit, daß er Schnepf, wenn er wegging, einfach einschloß, also eine Freiheitsberaubung im vollsten Sinne des Wortes beging. Durch ein etwas verstärktes Trinkgeld indessen war Schnepf gern bereit, auch hie und da eine Stunde Einzelhaft über sich ergehen zu lassen. Auch andere Stücke, wie beispielsweise Wilhelm Tell, mit dem Hut auf der Stange und ähnlichen Requisiten, waren komplett aufzuführen, ebenso Schneewittchen, in welchem der Höhepunkt die Niederstellung des Glassarges in einer prachtvollen Winterlandschaft war.
Mein Vater, der selbst eine außerordentliche Freude in am Puppentheater hatte und der mit einer rührenden Genauigkeit jede Seitenkulisse, jede Luftwolke und alles, was zu dem Theater gehörte, mit eigenhändigen Bemerkungen auf der Rückseite versah, war mehrere Jahre darauf bedacht, jeweils an Weihnachten ein neues Stück „herauszubringen“. Das letzte mit großartiger Maschinerie versehene Stück war das Käthchen von Heilbronn. Das brennende Schloß und die zusammenstürzende Brücke, die allerdings im entscheidenden Moment häufig in der Luft hängen blieb, machten dieses Stück zu einem von uns ganz besonders bevorzugten.
Unvergeßlich blieb uns bis heute die Aufführung der Wolfsschluchtszene des Freischütz an dem ersten Weihnachtsabend, an welchem wir das Theater erhielten. Mein Vater hatte sich zum Helfer bei der Vorstellung einen unserer ältesten biederen Magazinarbeiter, Balzer Braun, einen Sachsenhäuser von echtem Schrot und Korn, mitgebracht und ihn, wenigstens nach meiner heutigen Überzeugung, mit unsagbar großer Mühe als stummen Mimen ausgebildet. Balzer mußte donnern, blitzen, regnen, er mußte ebenfalls, ein Gegenstand unseres Stolzes, den Mond aufgehen lassen, er mußte den Wasserfall in Bewegung setzen, wobei es anfangs passierte, daß das Wasser bergauf lief, kurzum, er mußte zu den Texten, die von meinem Vater mit möglichst fürchterlicher Stimme vorgetragen wurden, wie: „Milch des Mondes fiel aufs Kraut“ usw., seinerseits all den Höllenlärm vollführen, der mit dieser Szene verbunden ist.
Es war selbstverständlich, daß dieses Puppentheater sofort einen Ruf in der engeren und weiteren Familie erlangte und daß Vettern und Kusinen und alles, was nur einigermaßen einen wenn auch entfernten Verwandtschaftsgrad auftreiben konnte, der zum Besuch unserer Weihnachtsstube berechtigte, ankam, um dieses Theater zu besichtigen, und wir durften uns mit berechtigtem Stolz als die Besitzer eines Werkes betrachten, welches die Aufmerksamkeit und dass Interesse, vielleicht aber auch teilweise den Neid unserer Besucher in hohem Maße erregte.
Da wir aber aus den Kinderzeiten unseres Vaters noch ein älteres Puppentheater besaßen, welches Großmutter Funck uns eines Tages schenkte, und da der Zufall wollte, daß wir auch bei Reicherts ein kleines, allerdings sehr einfaches Theater Mitte der 60er Jahre als Geschenk erhielten, waren wir eine Zeitlang die glücklichen Besitzer mehrerer Bühnen. Meine Eltern indessen, von der richtigen Voraussetzung ausgehend, daß bei dem damals von uns leidenschaftlich betriebenen Theaterspiel das Kunstwerk des selbst angefertigten Theaters bald zu empfindlichen Schaden kommen möchte, nahmen dieses jedes Mal nach den Weihnachtsferien wieder fort und überließen uns nur die einfachen beiden Bühnen zur täglichen Benutzung.
Außer der Schauspielerei war eine besondere Liebhaberei von mir das Spiel mit Bleisoldaten, von denen ich im Laufe der Zeit, ganze Armeen konsumierte, und ich erinnere mich noch eingehend einer Weihnachtsfeier Anfangs der 60er Jahre, an welcher Onkel Georg Hausser, der damals als österreichischer Hauptmann in Venedig in Garnison stand, zu Besuch da war und mir half, große Schlachten (Solferino und Magenta) aufzustellen. Die Erwerbungen, die ich damals in der Kriegswissenschaft machte, kamen mir später, als ich gemeinsam mit Carl Schaub das Soldatenspiel zu einer nie geahnten Höhe emporhob, außerordentlich zu statten. Meine Schwester Auguste, die zweifellos zu dieser Zeit lieber mit ihren Puppen und ihrer Puppenstube sich befaßt hätte, mußte sehr häufig zwangsweise mit an dem Puppentheater tätig sein, - wenn ich mich nicht gerade herabließ, mit an der Puppenstube tätig zu sein und namentlich Gespenstererscheinungen hinter deren Fenster zu mimen - bei welchen Gelegenheiten wir sogenannte „Koppstücker“ aufführten, die fast noch schöner und für uns jedenfalls weitaus interessanter waren als die kleinen gedruckten Theaterbüchelchen.
Von all den vielen schönen Geschenken, die unsere sonst sparsamen Eltern uns an Weihnachten zuteil werden ließen, ist mir ganz besonders das Puppentheater, welches ja heute noch fast unversehrt in meinem Besitz ist, als das Schönste in Erinnerung geblieben. Wochenlang vor Weihnachten entfaltete mein Vater, wenn er noch so müde abends aus dem Geschäft nach Hause kam, in der guten Stube eine geheimnisvolle Tätigkeit, unterstützt von einem gewissen Schnepf. Dieser Schnepf, ein etwas mißratener Theaterarbeiter, der zweifellos bei richtiger Behandlung ein außerordentlich brauchbarer und im bescheidenen Rahmen seiner Fähigkeiten fast genialer Mensch war, war meinem Vater bei dem Bau und der Einrichtung des Theaters behilflich. Aus einem verhältnismäßig einfachen, fertig gekauften Theater entstand allmählig ein geradezu wunderbares Puppentheater, wie ich es niemals mehr vorher und nachher wieder gesehen habe. Die meisten Dekorationen (das Theater enthält deren vielleicht zehn bis zwölf) waren von A bis Z selbst angefertigt und von Schnepf gemalt. Dazu stellte er die wunderbarsten maschinellen Dinge her, zum Beispiel einen sich öffnende Höhle, in welcher in der Freischütz=Aufführung, eines unserer beliebtesten Stücke, Samiel erscheinen konnte. Des weiteren, ebenfalls für die Wolfsschlucht bestimmt, ein Wasserfall, der in Bewegung gesetzt werden konnte, eine Schlange, ein Wildschwein, verschiedene Vögel, die alle über die Bühne liefen oder flogen, belebten die Wolfsschluchtszene in einer angenehmen und gruseligen Weise. Der Höhepunkt dieses Freischütz=Aktes aber war das Erscheinen des wilden Heeres, welches in der Luft vorüberraste - es waren lichtdurchlässige Figuren in einer Trommel, die hinter einem transparenten Hintergrund gedreht wurde - und dessen Erscheinung unter Donner, Blitz und Regen, alles aus selbstverfertigten, kleineren Maschinerien stammend, vor sich ging. Für den letzten Akt war ein Baum unser Hauptstück, auf welchem die berühmte Taube, nach der Max schießt, sich elegant schwänzelnd hin und her bewegte. An kleinen Requisiten imponierte namentlich das Feuer, welches Kaspar zum Gießen der Kugeln in der Wolfsschlucht entzündete. Schnepf hatte die Gabe, alle diese Dinge mit den denkbar einfachsten Mitteln herzustellen. Einige Brettchen von Zigarrenkisten, etwas „Pappdeckel,“ einige Stückchen Zinkblech genügten ihm vollkommen, die wunderbarsten Sachen anzufertigen. Eine bedenkliche Schwäche aber hatte dieses Genie und das war der Äpfelwein. Meinem Vater, der nicht immer stundenlang des Abends bei dieser Arbeit sein konnte, passierte es zwei= oder dreimal, daß er zurückkam und Schnepf nicht mehr antraf, weil dieser vorgezogen hatte, zum Äpfelwein zu gehen. Resolut und in den Anschauungen eines aufgeklärten Despotismus, in denen mein Vater noch vielfach lebte, half er sich damit, daß er Schnepf, wenn er wegging, einfach einschloß, also eine Freiheitsberaubung im vollsten Sinne des Wortes beging. Durch ein etwas verstärktes Trinkgeld indessen war Schnepf gern bereit, auch hie und da eine Stunde Einzelhaft über sich ergehen zu lassen. Auch andere Stücke, wie beispielsweise Wilhelm Tell, mit dem Hut auf der Stange und ähnlichen Requisiten, waren komplett aufzuführen, ebenso Schneewittchen, in welchem der Höhepunkt die Niederstellung des Glassarges in einer prachtvollen Winterlandschaft war.
Mein Vater, der selbst eine außerordentliche Freude in am Puppentheater hatte und der mit einer rührenden Genauigkeit jede Seitenkulisse, jede Luftwolke und alles, was zu dem Theater gehörte, mit eigenhändigen Bemerkungen auf der Rückseite versah, war mehrere Jahre darauf bedacht, jeweils an Weihnachten ein neues Stück „herauszubringen“. Das letzte mit großartiger Maschinerie versehene Stück war das Käthchen von Heilbronn. Das brennende Schloß und die zusammenstürzende Brücke, die allerdings im entscheidenden Moment häufig in der Luft hängen blieb, machten dieses Stück zu einem von uns ganz besonders bevorzugten.
Unvergeßlich blieb uns bis heute die Aufführung der Wolfsschluchtszene des Freischütz an dem ersten Weihnachtsabend, an welchem wir das Theater erhielten. Mein Vater hatte sich zum Helfer bei der Vorstellung einen unserer ältesten biederen Magazinarbeiter, Balzer Braun, einen Sachsenhäuser von echtem Schrot und Korn, mitgebracht und ihn, wenigstens nach meiner heutigen Überzeugung, mit unsagbar großer Mühe als stummen Mimen ausgebildet. Balzer mußte donnern, blitzen, regnen, er mußte ebenfalls, ein Gegenstand unseres Stolzes, den Mond aufgehen lassen, er mußte den Wasserfall in Bewegung setzen, wobei es anfangs passierte, daß das Wasser bergauf lief, kurzum, er mußte zu den Texten, die von meinem Vater mit möglichst fürchterlicher Stimme vorgetragen wurden, wie: „Milch des Mondes fiel aufs Kraut“ usw., seinerseits all den Höllenlärm vollführen, der mit dieser Szene verbunden ist.
Es war selbstverständlich, daß dieses Puppentheater sofort einen Ruf in der engeren und weiteren Familie erlangte und daß Vettern und Kusinen und alles, was nur einigermaßen einen wenn auch entfernten Verwandtschaftsgrad auftreiben konnte, der zum Besuch unserer Weihnachtsstube berechtigte, ankam, um dieses Theater zu besichtigen, und wir durften uns mit berechtigtem Stolz als die Besitzer eines Werkes betrachten, welches die Aufmerksamkeit und dass Interesse, vielleicht aber auch teilweise den Neid unserer Besucher in hohem Maße erregte.
Da wir aber aus den Kinderzeiten unseres Vaters noch ein älteres Puppentheater besaßen, welches Großmutter Funck uns eines Tages schenkte, und da der Zufall wollte, daß wir auch bei Reicherts ein kleines, allerdings sehr einfaches Theater Mitte der 60er Jahre als Geschenk erhielten, waren wir eine Zeitlang die glücklichen Besitzer mehrerer Bühnen. Meine Eltern indessen, von der richtigen Voraussetzung ausgehend, daß bei dem damals von uns leidenschaftlich betriebenen Theaterspiel das Kunstwerk des selbst angefertigten Theaters bald zu empfindlichen Schaden kommen möchte, nahmen dieses jedes Mal nach den Weihnachtsferien wieder fort und überließen uns nur die einfachen beiden Bühnen zur täglichen Benutzung.
Außer der Schauspielerei war eine besondere Liebhaberei von mir das Spiel mit Bleisoldaten, von denen ich im Laufe der Zeit, ganze Armeen konsumierte, und ich erinnere mich noch eingehend einer Weihnachtsfeier Anfangs der 60er Jahre, an welcher Onkel Georg Hausser, der damals als österreichischer Hauptmann in Venedig in Garnison stand, zu Besuch da war und mir half, große Schlachten (Solferino und Magenta) aufzustellen. Die Erwerbungen, die ich damals in der Kriegswissenschaft machte, kamen mir später, als ich gemeinsam mit Carl Schaub das Soldatenspiel zu einer nie geahnten Höhe emporhob, außerordentlich zu statten. Meine Schwester Auguste, die zweifellos zu dieser Zeit lieber mit ihren Puppen und ihrer Puppenstube sich befaßt hätte, mußte sehr häufig zwangsweise mit an dem Puppentheater tätig sein, - wenn ich mich nicht gerade herabließ, mit an der Puppenstube tätig zu sein und namentlich Gespenstererscheinungen hinter deren Fenster zu mimen - bei welchen Gelegenheiten wir sogenannte „Koppstücker“ aufführten, die fast noch schöner und für uns jedenfalls weitaus interessanter waren als die kleinen gedruckten Theaterbüchelchen.